AUSSTELLUNGSHALLE - Schulstraße 1a HH - 60594 Frankfurt a.M. - Tel.:069/96200188
Pressestimmen


 


Die Künstler vom Atelier Goldstein

Ausstellung mit Werken Behinderter in Frankfurt

Das Atelier Goldstein in Frankfurt/Main widmet sich mit viel Engagement dem Werk behinderter Menschen, die sonst nicht den Weg in den Kunstbetrieb finden würden. Zur Zeit ist eine Ausstellung mit Werken von Christa Sauer und 16 anderen geistig behinderten Künstlern zu sehen. Vor fünf Jahren hat Christiane Cuticchio das Atelier Goldstein gegründet, zusammen mit der Lebenshilfe Frankfurt. Die Künstler, die hier arbeiten, sind alle geistig behindert. "Wir sind hier im Paradies, wenn Sie so wollen. Wir sind hier in einem Raum außerhalb der Zeit, in einem Raum, den es gesellschaftlich gibt, weil hier Dinge möglich sind, die nur hier möglich sind," erklärt sind

Ist es Kunst oder nicht?"

Darüber lässt sich bekanntlich streiten, aber eine Klassifizierung als "Behindertenkunst" lehnt die Leiterin des Atelier Goldstein jedoch kategorisch ab: "Wenn wir sagen, das ist Behindertenkunst, dann müssten wir auch sagen, das ist Kunst von Diabetikern oder Linkshändern. Tun wir das?"

Christiane Cuticchio sieht ihre Aufgabe vor allem darin, dafür zu sorgen, "dass diese Kunst nach außen kommt, von der grünen Wiese in die Gesellschaft, in die Ausstellungshallen und Museen. Dann kann sie zur Diskussion gestellt werden, und dann kann man sie gut oder schlecht finden."

 

Stefan Häfner bastelt an seiner "Zukunftsstadt". Das Thema lässt ihn nie los. In der Behindertenwerkstatt, in der Straßenbahn, im Wohnheim spuken ihm die Ideen durch den Kopf. Auch der Künstler Selbermann malt, wo er geht und steht. Schreiben kann er kaum. Was ihn beschäftigt und was er liebt, das macht er zu Bildern: Türme, Stadtlandschaften und Frauenporträts.

Was in Holger Frischkorn vorgeht, bleibt fast immer im Dunkeln. Seine Gemälde aber haben eine erstaunliche Kraft. Der heimliche Star des Ateliers Goldstein ist jedoch Christa Sauer. Sie hat das Down Syndrom und gilt als geistig behindert. Sie kann kaum sprechen, zieht auf großen Leinwänden mit dem Pinsel sprichwörtlich ihre Kreise. Die Frankfurter Kunstszene ist begeistert von ihren Gemälden. Sie sind farbenprächtig, abstrakt und dekorativ. Ihre Bilder liegen im Trend - und sind begehrte Kaufobjekte.

Die Künstler vom Atelier Goldstein sind gefragt. Museen, Galerien, Banken und öffentliche Einrichtungen stellen ihre Werke aus. Mit Erfolg.

Der Erlös aus dem Verkauf der Bilder wird dringend gebraucht für Pinsel, Farben und Leinwände. Die Künstler selbst verdienen mit ihren Arbeiten kein Geld. Höchstens ein kleines Geschenk ist ab und zu mal drin: Hier ein Bildband, dort eine Haarspange. Das größte Geschenk für die Künstler ist die Existenz des Ateliers.

 

(ZDF,vom 06.03.2005 )

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Der Bleistift, das Messer

"Cellular" in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße

Jetzt kann es losgehen. Die Fläche grundiert, das Blatt gelocht, der Bleistift gespitzt und das Messer geschärft, kurz: die Vorbereitungen endlich abgeschlossen, da könnte der Künstler voller Tatendrang ans Werk gehen. Doch Jürgen Krause denkt gar nicht daran. Oder, wer weiß, vielleicht ja doch, allein es ist noch nicht soweit. Nicht der rechte Augenblick, die Vorarbeit nicht gründlich genug getan womöglich. Also noch einmal. Hier das Werkzeug: der frisch gespitzte Bleistift, das scharfe Messer, die grundierte Malfläche.

Und so folgt Schicht auf Schicht der eigens angerührten Grundierung, schneidet Krause von Hand Loch um Loch kreisrund aus einem Bogen Papier, bis nur die Stege und ein Glas Konfetti zurückbleiben; schärft der junge Frankfurter Künstler, der bei Thomas Bayrle studiert hat, Schnitzmesser und Stechbeitel ein ums andere Mal am Wetzstein, bis kaum etwas bleibt von Werkzeug und Material und die konsequent fortgeführte Arbeit schließlich auf nichts mehr zu verweisen scheint als auf den das Werkzeug im sich selbst genügenden künstlerischen Tun potentiell aufzehrenden Prozeß. Der Bleistift, das Messer, der Wetzstein.

Die sich unmittelbar mitteilende Intensität, dieses beinahe manisch zu nennende künstlerische Vorgehen verbindet Krauses - bisweilen durchaus mit komischen Pointen aufwartende - Kunst bei allen offensichtlichen Differenzen mit einer Reihe weiterer Positionen, die derzeit in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A unter dem Titel "
Cellular" zu sehen sind. Etwa mit den zarten, kachelgroßen Zeichnungen Marina Cereas, mehr noch mit ihren flüchtig übermalten, akribisch wieder mit merkwürdigen Ecrituren gefüllten Buchseiten, die eine Erzählung wohl enthalten mögen, deren Lesbarkeit aber ein für allemal dahin scheint. Oder mit Anke Röhrscheids den Ausschnitt ins Zentrum rückenden Aquarellen auf Büttenpapier, die gegenständliche Assoziationen stets zulassen, fordern womöglich und doch Erkundungen jenseits der Oberfläche und äußeren Erscheinung sind. Dichte, organische Details in geheimnisvoll dunkel glühender Farbigkeit, deren Faszination pulsierender Fokussierung der Betrachter sich kaum entziehen kann.

 

Deutlich kühler, nüchterner auch in der Anmutung erscheinen dagegen die plastischen Arbeiten der Kölner Künstlerin Birgitta Weimer: Opake, durchaus dekorative Körper, in der Aufsicht an biologische Kulturen erinnernd, an Schnitte durch organische Röhrensysteme vielleicht, in deren Innern rot leuchtende Kapillare einen forschenden, mikroskopischen Blick nahelegen. Und doch gerade in der Konzentration auf das Detail jeden gegenständlichen Bezug auszuschließen trachten. Und nicht zuletzt faszinieren einmal mehr Lucie Bepplers hochkonzentrierte, fast ausnahmslos in kleinem Format entstehende Zeichnungen, die man, obwohl in aller Regel gegenstandslos, zögerte, abstrakt zu nennen.

Ausschnitte, mag man mutmaßen, auch hier, gerade wie in ihren sich in der Abstraktion auflösenden Fotografien, Erkundungen in einem Universum, das mit den Kategorien von Mikro- und Makrokosmos nicht zu fassen ist, hat es doch jenseits davon seinen Ort. Denn weniger der konkreten Erscheinung der Dinge als ihrem Wesen, der Intensität der Empfindung auch gilt die volle Konzentration der Künstlerin. Und im künstlerischen Vorgehen bleibt sie geradezu körperlich spürbar in beinahe jedem Blatt. Mal energisch und kraftvoll, dann wieder tastend, zärtlich fast, setzt sie Strich an Strich, verdichten sich winzige Tuschekreise zu tiefschwarzen, kosmisch bewegten Welten oder verlieren feinste Linien sich zu luftig und leicht und wie von Zauberhand gewebten Gespinsten.

Immer wieder greift sie dabei neben Bleistift, Kuli, Tusche oder Ölstift auch zur Radiernadel, um Papier, Karton und Fotopapier von beiden Seiten weiter zu bearbeiten, zu malträtieren förmlich, bis Falten, tiefe Risse oder feine, an Craquelés erinnernde Strukturen sich zeigen. Und so findet man in Lucie Bepplers Zeichnungen stets beides, die Tendenz zur Auflösung alles Gegenständlichen in der Abstraktion wie ihr Gegenteil. Das aber ist reine Poesie.

CHRISTOPH SCHÜTTE.

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.04.2005)

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Verschärftes Sehtempo

Zwischen Wien und Frankfurt: Thomas Draschan vereint in Filmen und Collagen Alt und Neu

So cool plätschert die Loungemusik dahin, eine einzige Aufforderung, sich einfach zu entspannen. Das aber ist eigentlich das letzte, was Thomas Draschans Filme ihrem Betrachter ermöglichen. Die Bilder rasen in atemberaubender Geschwindigkeit zur Musik dahin und lösen dabei Assoziationsketten aus, die erst im nachhinein ihr ganzes Potential entfalten. Die "Temposchraube", wie Draschan das nennt, könnte nach seinem Geschmack ruhig noch mehr angezogen werden: "Ich habe dieses Sehtempo. Es gibt ja auch Leute, die harte Drogen brauchen."

Der Vergleich paßt ziemlich gut. Denn etwas Psychedelisches haben Draschans Filme auf alle Fälle - allerdings ohne negative Nebenwirkungen. Im Gegenteil. Man ist verblüfft über das, was Draschan mit seinen geschickt kombinierten Bildern alles transportiert. Das "brutal Reinschneiden, das Häckseln" war schon im Studium seine bevorzugte Arbeitsweise - und die aufwendige Gestaltung des "Materials" Film. Thomas Draschan, 1967 in Linz geboren, macht seit mehreren Jahren Filme aus "Found Footage", also gefundenem Filmmaterial, vom Amateurfilm über B-Movie-Ausschnitte bis hin zu jenen Filmmetern, die am Anfang und Ende einer Rolle die technische Seite hervorkehren. Wie Geheimbotschaften tauchen sie auf zwischen Erste-Hilfe-Anleitungen, fahrradfahrenden jungen Mädchen oder Möchtegern-Tarzans.

So entstehen kleine Filmkunstwerke, deren Titel als Motti funktionieren und die nicht nur das Leben, sondern auch den Blick darauf und dessen Verwandlung in der Filmkunst zum Thema haben. Gleichzeitig sind sie visuelles Gedächtnis: Denn das meiste Material stammt aus den späten sechziger und den siebziger Jahren. Nicht nur, weil damals besonders viele Amateur- und Lehrfilme gedreht wurden. Ein gewisser "sentimentaler Faktor" spiele bei der Auswahl mit, so Draschan: Seine ersten Kindheitserinnerungen liegen in dieser Zeit. Sind die Einzelteile erst einmal geklebt, muß eine kostspielige Kopie erstellt werden.

Zweimal hat er für seine Arbeiten den Hessischen Filmpreis bekommen: 2001 für "Metropolen des Leichtsinns", der mittlerweile geradezu als Klassiker des Found-Footage-Films gelten kann und 2003 für den mit Stella Friedrichs geschaffenen "To the happy few". Beide touren, wie andere Filme Draschans, durch internationale Festivals und Filmreihen - und manchmal auch nach Frankfurt. Hier hält sich Draschan immer wieder auf, seit er von 1992 an bei Peter Kubelka an der Städelschule Film studierte. Schon mit dieser Ausbildung bewegte er sich genau in jenem ebenso feinen wie meist überflüssigen Unterschied,

 

der zwischen Film und Kunst so gerne gemacht wird: "Wenn ein Künstler ein total schlechtes Video macht, ist es Kunst", sagt Draschan. "Wenn ich eines mache, ist es keine, weil ich ja ein Filmemacher sein soll." Sein neuester Film allerdings ist in einem Kunstkontext zu sehen: In der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A, wo auch Papierarbeiten Draschans schon zu sehen waren, läuft "Preserving The Aspect Ratio of its Original Television Exhibition" als Loop.

Draschan, der das Arbeitsklima Frankfurts ebenso schätzt wie das Leben in der "Boheme-Stadt" Wien, bewegt sich auch in seiner Arbeit zwischen den Polen. Musikvideos, etwa zu einem Titel von "Losoul", sind entstanden, Projekte mit anderen Filmemachern und Auftragsarbeiten. Spezialgebiete findet er "grotesk" - schließlich sind seine kanalisierten Bilderfluten auch "aus der Defensive heraus" entstanden, denn Selberdrehen ist teuer und zeitgebunden. Allerdings bestehen auch die witzigen Papiercollagen, an denen er "zur Entspannung" arbeitet, aus Gefundenem.

Angeregt wurde er dazu durch ein Frankfurter Projekt, an dem er seit Ende der neunziger Jahre arbeitet. In Frankfurt, von Schülern Kubelkas, seien "echte Klassiker gemacht worden, die total verkannt werden". Und Draschan, dem das Aufbewahren und Weitertragen so wichtig ist, hat mit Hilfe der Hessischen Filmförderung begonnen, diese oft schlecht konservierten Avantgarde-Filme zu retten. Etwa 30 Filme zwischen drei und 30 Minuten soll die "Frankfurt-Sammlung" bald umfassen, die mühevoll zusammengesammelt, restauriert und kopiert wurden. Vielleicht wieder einmal ein Grund, nach Frankfurt zu reisen. Denn jetzt, so Draschan, "ist es überreif", nach diversen Tätigkeiten im Film- und Kunstbetrieb neben den Found-Footage-Arbeiten endlich selbst Filme zu drehen. In Wien findet er dazu gerade die Voraussetzungen, die er im "kleinen umkämpften Platz" Frankfurt vermißt. Mit einem Bein steht er dennoch hier - und schwärmt dabei vom Filmen in Italien und Frankreich. Denn "einen gewissen Ehrgeiz, auch nach Cannes zu kommen", kann er nun wirklich nicht verleugnen. (Thomas Draschans Film ist bis zum 15. Juni gemeinsam mit Malerei Kai Teicherts in der Ausstellungshalle 1A, Schulstraße 1A, Mittwoch und Donnerstag von 18 bis 20, Freitag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr zu sehen. Am Samstag um 20.30 Uhr läuft in der Reihe "Reel to Real" im Mousonturm sein Film "Preserving Cultural Traditions in a Period of Instability".)

EVA-MARIA MAGEL

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.06.2005)

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Am Busen von Mutter Natur

Abgründiges von Kai Teichert und Gefundenes von Thomas Draschan in der Ausstellungshalle

von Dorothee Baer-Bogenschütz

Frauen, die von Bäumen wachsen. Ein Riese ohne Rumpf. Bootspartien ins Ungewisse. Alles ein bisschen gespenstisch hier. Kai Teichert zeigt in der Sachsenhäuser Ausstellungshalle "Neues vom Tiergarten". Der Vierzigjährige, der Medizin studiert hat und Malerei an der Städelschule, postuliert in den Bildern dieser Reihe eine traum- bis wahnhafte Verbundenheit von Mensch und Natur mit symbolistisch-theatralischen Momenten. Mit wenigen Ausnahmen, wo paradiesische Zustände bildbestimmend scheinen - etwa im Titel Insel - lauert in blaugrüner Wald- und Wiesenkulisse das Abgründige und Andersartige. Menschliche Figuren, die nicht einzuordnen sind, Dinge, die monströse Dimensionen annehmen.

Sicher ist eins: Teichert kennt sie gut, die Kunstgeschichte. Delacroix-Odalisken und Rubens-Damen hat er studiert, niederländische und französische Landschaften, Böcklin dazu. Das Panhafte, Bocksbeinige, auf das der Schweizer sich verstand, das liebt auch er. Ist sie womöglich ein Alter ego, die Gestalt mit Sturmfrisur, die in Insel als Wellenwesen auftaucht? Teichert spielt die ganze Zeit. Mit Metamorphosen, kunsthistorischen Querbezügen, Sehnsuchtsfarben oder erdigen Inkarnattönen im Stil des frühen Degas. Dabei wird die Natur beseelt gedacht. Die Frauenfigur im Bild Busen könnte Mutter Erde selbst sein. Dieser Maler steckt voller Ideen zu humorvollen Anspielungen und Allegorien, die er mit lockerem Pinselstrich umsetzt.

 

Als sei sie selbst eine Badende, die unermüdlich ihr Terrain erforscht.

Das zentrale Bild hätte das Schlusstableau bilden können in Max Holleins Romantikschau "Wunschwelten" in der Schirn. Teicherts romantische Attitüde ist ausgeprägt.

Dazu erklingt bitzelnde Musik. Aus einem italienischen Trashfilm von 1968, verrät Thomas Draschan, der damals ein Jahr alt war. Von ihm stammt die Videocollage Television exhibition, die parallel zum "Tiergarten" läuft und den Betrachter mit suggestiven Klängen einlullt. Das Videogeschehen bestimmen schnelle Schnitte, "kichernde Mädchen", "verwirrte Taucher", eine "Mund-zu-Mund-Beatmung". Am Ende weiß man kaum noch, was man gesehen hat.

Dabei befiehlt Draschan, der bei Peter Kubelka an der Städelschule studiert hat und mit seinem "found footage" (gefundenes Filmmaterial) ein international gefragter Filmemacher wurde, dem Kritiker mitten im Film: "Besprecht das Gesehene". Seinen Rohstoff ersteigert er oft bei ebay und macht sich dann ans Archivieren von Einzelheiten: "Ich zergliedere das Material in saubere Vokabeln: Türe auf, Telefon abheben, schießen." Bitte nicht auf Teichert. Dessen Bilder sind schon verletzt. Und seine neue Praxis, Leinwände teilweise aufzuschlitzen, muss nicht so drastisch bestraft, indes überdacht werden.

Ausstellungshalle, Schulstraße 1a, Frankfurt: bis 19. Juni. Mi., Do. 18 - 20; Fr., Sa. & So. 14 - 18 Uhr .

 

(Frankfurter Rundschau , Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 130); Mittwoch, 08. Juni 2005)

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Putzen auf dem Treppenabsatz Europas

Fotokunst aus dem Baltikum in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A

Die Filme hätte man doch gerne mal gesehen. "Boeuf à la Tartar" etwa oder den verführerisch an die Sinne appellierenden "Garibaldi Biscuits" und, besonders vielversprechend, "Kokata", worum auch immer es da gehen mag. Doch ein "Wonderbra Weseleyevu Film" mit massigen Sumo-Ringern und schönen, ähnlich spärlich bekleideten Frauen kann eigentlich nicht ganz schlecht sein. Noch freilich ist der nicht gedreht, nicht in Hollywood und nicht in Estland, wo Liina Siib schon seit Jahren an ihren "Movie Posters" für nicht existierende und vermutlich niemals über die Leinwand flimmernde Filme arbeitet.

Stilecht bis ins Detail, sind ihre digital gebauten und mit allerlei Klischees spielenden Arbeiten derzeit im Rahmen der vom Referat für Internationale Angelegenheiten organisierten Veranstaltungsreihe "Neues aus Europa" in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A zu sehen. Bild gewordene leere Versprechen, könnte man meinen, doch der Blick der vier vorgestellten Positionen aktueller Fotokunst aus dem Baltikum auf "Das Land und das Ich", so der Titel der Ausstellung, fällt deutlich differenzierter aus. Während Siib zumindest mit ihren Bildern fröhlicher Kinder dann doch einen verhalten optimistischen Blick in die Zukunft wirft, steht der junge lettische Künstler Arnis Balcus mit beiden Beinen in der juvenilen Gegenwart.

"Myself, friends, lovers and others" dokumentiert im internationalen Stil spontaner und kaum einmal inszenierter Schnappschußästhetik das Lebensgefühl einer Generation, die in Riga ebenso selbstverständlich die eigene Identität, all die Wünsche, Hoffnungen, Niederlagen und nicht zuletzt die Sexualität, kurz: die Welt zu entdecken entschlossen ist wie in London oder Berlin. Der dokumentarische Ansatz des lettischen Künstlerkollektivs "pureculture" lenkt den Blick dagegen eher auf die Verlierer der postsowjetischen Umwälzungen. Fast schüchtern, ein wenig verlegen auch schauen die Protagonisten in die Kamera, posieren im Sonntagsanzug, im strahlend sommerlich geblümten Kleid, die Füße in blankpolierten Schuhen oder ausgelatschten Pantoffeln.

 

"Rentnermode" eben, mit ihren Farben, Stoffen, Mustern unverkennbar der letzte Schrei der frühen siebziger Jahre, nun, bei einer Durchschnittsrente von rund 100 Euro, kaum eine Frage des Stils. Ohne Bedeutung die lang ersehnte Freiheit des Konsums, im Alter wird die Garderobe würdevoll, doch notgedrungen aufgetragen. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen neben "pureculture" die Arbeiten der litauischen, seit mehr als zehn Jahren in Frankfurt lebenden Künstlerin Ramune Pigagaite. Während sie in ihrer aktuellen Farbserie "Cleaning Woman" die Frauen ihrer Heimat in tief gebückter Haltung und mit dem Putzlappen in der Hand auf dem Treppenabsatz inszeniert und damit ebenso sprechende wie bittere Bilder findet für die Hausordnung im gemeinsamen, im vergangenen Jahr feierlich erweiterten europäischen Haus, erscheinen die "Dorfbewohner" als letzte Zeugen einer vergangenen Zeit.

Alt geworden und von harter Arbeit gezeichnet, posieren die Menschen vor ihren einst von den Müttern und jungen Mädchen als Aussteuer für die Hochzeit hergestellten und traditionsgemäß nur zu besonderen Anlässen hervorgeholten Decken. Träume von Familie und bescheidenem Wohlstand mögen hier eingewoben sein in symbolischen Mustern und bunten Farben, vom noch jungen Leben und dem Glück, das die Zukunft bringen mochte, die inzwischen längst vergangen ist. Voller Respekt, doch frei von Sentimentalität erzählen Pigagaites Schwarzweißaufnahmen von der Tradition und ihrem Verlust, von Jugend und Alter, Anfang und Ende. Ein scheinbar schlichter und zugleich poetischer, überaus kunstvoller Essay über die Vergänglichkeit.

CHRISTOPH SCHÜTTE

 

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.07.2005, Nr. 150, S. 55 )

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Freischwimmerinnen

Blaues von Chunqing Huang, Bewegtes von Franziska Kneidl

Im Bad sich den Blues holen? Trotz Sonnenscheins und Duschgelegenheit? Vielleicht gerade deshalb. Denn manchmal ist, weil die Anstalt zuviel Zulauf hat, ja nicht ein einziger Schwimmzug drin im Schwimmbad, und die Brause eben auch kein rechter Trost. Und noch ein Pegelstand gerät in den Blick, wo Menschen sich drängen und hochprozentige Härtetests zur Extraerhitzung führen: Bacardi Blue nennt Chunqing Huang eines ihrer unfröhlichen Badebilder, das den Blauraum im Planschrevier aus unterschiedlichen Blickwinkeln auslotet. Die Frau mit dunklen Haaren, die aus Vogelperspektive betrachtet wird, treibt mehr dahin, als dass sie glaubhaft den Bewegungsablauf des Brustschwimmens vorführt. Für sie scheint das Beckenwasser weniger erfrischend als betäubend.

Monochrome Exerzitien

Chunqing Huang, die selbst ein wenig Schwimmsport macht, kennt seit drei Jahren nur ein Thema: Die Scheu der Schwimmerin vorm Auftauchen. Ihre Bilder sind eine schier endlose Abfolge von Motiven im Blauen. Meistens verharren dabei die Modelle freilich nicht reglos, sondern können als Sporttreibende identifiziert werden. Wert legt die Malerin, die jetzt gemeinsam mit ihrer 1967 geborenen Kollegin Franziska Kneidl in der Frankfurter Ausstellungshalle ausstellt, auf eine ausgedehnte Wasseroberfläche. Das helle Blau gibt ihr Anlass zu monochromen Exerzitien und ist der Grundton ihrer Bilder, die die Dargestellten zumeist solo und in heiterer Stimmung durchpflügen. "Es gibt eine andere Leichtigkeit im Wasser", sagt Chunqing Huang, und sie meint das nicht nur bezogen aufs Körperliche. Der Chinesin, 1974 geboren und 2000 nach Frankfurt gekommen, wo sie nach ihrem in Peking abgeschlossenen Kunststudium an der Städelschule bei Hermann Nitsch Freie Malerei belegte, gefällt ähnlich wie ihrem Lehrer die motivische Festlegung, das jahrelange Abarbeiten an Konstanten.

 

Spielchen sind gestattet. Es gibt da etwa ein Wasserballett zu sehen oder Catch the coin: bezogen auf das beliebte Tauchen nach Münzen. Dass das Nass nicht notwendig glücklich macht, zeigen diejenigen Figuren, die nicht so ganz in ihrem Element zu sein scheinen. Einige Gemälde - beispielsweise Nach dem Sprung - lassen durchaus offen, wie sich die dargestellte Person in den Fluten fühlt. Die Badenden der Kunstgeschichte besitzen (nicht nur dann, wenn sie eine allegorische Aufgabenstellung haben), oft die Aura des Undurchsichtigen, selbst, wenn sie unbekleidet sind. Auch bei Chunqing Huang gibt es zweite Ebenen.

Franziska Kneidl, die sich zunächst zur Theatermalerin ausbilden ließ und anschließend zu Städelschulprofessorin Christa Näher ging, trägt in die Doppelausstellung einen leicht kosmischen Akzent. Dabei inspiriert sie arabische Lyrik, es entstehen Bilder in vermeintlicher Bewegung mit metaphysischen Verweisen. Gestirne oder Sonnen scheinen förmlich am Betrachter vorbei zu ziehen. Durch vielschichtigen graubraunweißen und bisweilen golden akzentuierten Farbauftrag, wo Lasierendes und Diaphanes mit pigmentstarken Partien konkurriert, werden die Arbeiten dynamisiert.

Körperbetontes Format

Ebenso durch ihr Format. 210 mal 180 Zentimeter ist ein gängiges Kneidl-Format - "sehr körperbetont", wie sie sagt. Ihren Bildern spricht sie ein ausgeprägtes Eigenleben zu, sie seien ein "starkes Reagieren auf das, was beim Malen passiert". Und: "Im Zweifelsfall ist das Bild klüger." Gern lässt sie es daher seine Kreise ziehen und kontrolliert in ihrer bewegten Malerei bloß Atmung und Endpunkt. Eine echte FreiSchwimmerin.

VON DOROTHEE BAER-BOGENSCHÜTZ

 

(Frankfurter Rundschau , 20.07.2005)

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Schwarze Löcher

Malerei in der Frankfurter Ausstellungshalle

Daß jetzt bloß keiner von der Seite reinspringt. Irgendein Halbstarker die ungeübte Schwimmerin frech unter Wasser tunkt und aus dem Rhythmus bringt und im tiefen Becken ordentlich für Wirbel sorgt. Doch wenn es einen Bademeister gibt im Hallenbad von Chunqing Huang, dann hat er offensichtlich alles gut im Griff. Junge Frauen ziehen ihre Bahnen in den poolblauen Gewässern, Kinder planschen in den hier knietiefen, dort hüfthohen Wellen oder tauchen nimmermüde nach verborgenen Schätzen, bis die Lippen blau geworden sind. Doch geht es in der Malerei der 1974 in China geborenen Städelabsolventin stets um mehr als nur um fröhlich-heiteren Badespaß.

Ein Schwimmkurs freilich gab den Anstoß zu den seit drei Jahren entstehenden Arbeiten in Öl auf Leinwand, und angesichts der mit Leichtigkeit und größter Selbstverständlichkeit sich im Wasser bewegenden Körper mag man zunächst durchaus den sehnsüchtigen Blick des Nichtschwimmers am Beckenrand erahnen. Vor allem aber zeigt sich Huang, die bei Hermann Nitsch studiert hat, fasziniert von Licht und nie zum Stillstand kommender Bewegung; von den tanzenden Reflexen auf der sich kräuselnden Oberfläche, dem Ein- und Untertauchen des Körpers und den merkwürdigen, schillernden Brechungen der Arme und Beine auf und unter dem Wasserspiegel. Und je mehr Konturen und Proportionen sich im himmelblauen Grund aufzulösen scheinen und im zunehmend pastoser werdenden Farbauftrag miteinander verschwimmen, desto deutlicher tritt das genuin malerische Interesse in den Vordergrund.

Dagegen erscheinen die großformatigen Leinwände Franziska Kneidls, die parallel zu den Arbeiten Huangs in der Frankfurter Ausstellungshalle Schulstraße 1A zu sehen sind, schon jetzt als Ergebnis einer bemerkenswert konsequenten malerischen Entwicklung.

 

Als Schülerin Christa Nähers zunächst noch der gegenständlichen Malerei verpflichtet, hat die Frankfurter Künstlerin ihr Formvokabular und ihr Farbenspektrum in den vergangenen Jahren mehr und mehr reduziert, um nunmehr zu mit energischem Gestus ins vornehmlich grau in grau erscheinende Bild gesetzten Kreisformen zu gelangen.

Doch welche Tiefe, welche Dynamik herrscht in diesen Bildwelten, und wie nuancenreich stellt sich die Skala der Grauwerte dar in diesen gänzlich abstrakten, den Blick immer wieder aufs neue herausfordernden Mischtechniken. Zwischen teerschwarz und lichtweiß glänzen silbrig schillernde Passagen wie Sternenstaub, und je nach Standpunkt verliert man sich in mikro- oder makrokosmischen, in jedem Fall aber aufregend unerforschten Welten, die zu entdecken beide, Malerin wie Betrachter, nicht müde werden; begegnen stumpfe, verkrustete und undurchdringliche Partien hier wolkigen, dort fleckig-schmutzigen Strukturen, fließt die Farbe ungehindert und frißt sich in den saugenden Grund oder gerät zäh ins Stocken wie erkaltende Lava, bis sich schließlich feine Risse zeigen.

Gelegentlich kratzt und wäscht die 1967 geborene Künstlerin die Farbe wieder herunter, setzt abermals mit breitem Pinsel Kreis um Kreis, gleichsam als malerische Geste im unaufhörlichen spannungsreichen Wechsel von Werden und Vergehen. Und doch will es manchmal scheinen, als rotiere einer dieser dynamischen Wirbel als geheimes Zentrum: Irgendwo da draußen, im weiten, unermeßlichen Raum ein Schwarzes Loch, in dem alles seinen Anfang nahm, oder im Gegenteil ein gleißend weißer Strudel, ein fernes, helles Leuchten, wo dereinst alles enden muß. Beides aber hat hier seinen Ort in einem Bild.

CHRISTOPH SCHÜTTE

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2005, Nr. 167, S. 44 )

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